Gerhard Hoehme & Michael Müller. In Praise of Shadows - Das Navigieren zwischen Denken und Fühlen
10. Juli bis 21. August 2021 ⟶ Galerie
GERHARD HOEHME & MICHAEL MÜLLER
Eine Ausstellung in Kooperation mit KUNSTSAELE Berlin
Optionen und Konstellationen
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Das Gemeinsame und das Andere in den Werken von Gerhard Hoehme und Michael Müller
Als sich Michael Müller im Sommer 1992 in die Klasse von Magdalena Jetelová an der Kunstakademie Düsseldorf einschrieb, war Gerhard Hoehme als Professor für Malerei seit 8 Jahren nicht mehr an der Kunstakademie und bereits seit 3 Jahren verstorben. Die beiden Künstler haben sich demnach nie persönlich kennengelernt. Als einer der Pioniere der informellen Malerei hatte Hoehme zusammen mit K.O. Götz, der das Informel Anfang der 1960er-Jahre an die Akademie brachte, die Hochschule nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer der international bedeutsamsten Kunstakademien gemacht.
Michael Müller entdeckt durch einen Zufall bei der Durchsicht eines Kataloges, der die 50 wichtigsten Künstler:innen des 20. Jahrhunderts auflistet, ein Werk von Gerhard Hoehme, den er, überraschend für ihn selbst, nicht kennt. Irritiert und fasziniert von Hoehmes Malerei, die sich ab einem bestimmten Schaffensjahr mit den für ihn typischen, aus der Leinwand herausragenden PE-Schläuchen als plastische Elemente der Bildfindung darbietet, beginnt Müller sich mit dem Werk von Hoehme künstlerisch und didaktisch auseinanderzusetzen. Hoehme kann als spiritus rector für Müllers Œuvre verstanden werden, das vergleichsweise als ein Nachleuchten und Nachklang, als Inspiration und Zitat, als Mitgedachtes und -gefühltes oder Empathie und Nichtbenennbares auf Hoehmes Werk gesehen werden kann.
Die Faszination Müllers an Hoehmes Werk wäre auch ohne die Ausstellung „In Praise of Shadows. Das Navigieren zwischen Denken und Fühlen“ klar erkennbar, jedoch in der direkten Gegenüberstellung der Werke von Hoehme und Müller lässt sich eine geistige Verwandtschaft zeigen. Vergleiche beider Werke haben einen großen Reiz und veranlassen, den Blick zu fokussieren und Sichtbares ikonografisch zu benennen und kunsthistorisch zu deuten. Seit den Anfängen des Informel gehört die Galerie Nothelfer zu den Galerien, die die informellen Künstler vertreten – allen voran Gerhard Hoehme. In ihrem Bestand finden sich wunderbare Beispiele seiner Kunst, die auch in der Ausstellung gezeigt werden. Neben den Schrift- und Zahlenbildern der 1960er-Jahre, die wie ein Rebus einer mystischen Landschaft oder ein Labyrinth verstanden werden können, gehört die Schaffensphase, in der Hoehme neben Drähten, Stricken und Kordeln die PE-Schnur als das wichtigste Charakteristikum in seine Werke integriert, die zu Michael Müllers Kunst ikonographisch die engsten Bezüge aufweist. Bei der Entwicklung seiner Zahlen- und Schriftbilder nutzt Hoehme als Inspirationsquelle neben der Mythologie, die Musik und die Literatur, wie z.B. von James Joyce, Ezra Pound oder Paul Nizon. Stilistisch gesehen werden von Müller in einer eigenen visuellen Poetik durch Zeichen Hoehmes Werk fortgesetzt. In der konzeptuellen Idee von Müller, für das Werk von Robert Musil „Der Mann ohne Eigenschaften“ eine eigene Schrift „K4“ zu entwickeln, lassen sich Analogien zu Hoehmes Schriftbilder entdecken.
Eine weitere Analogie, die sich zweifelsohne und für jeden sichtbar zu Müllers Arbeiten in der Ausstellung finden lässt, zeigt sich zu den „Mediatoren“ von Hoehme. „Mediator zwischen Ding und Raum“ ist eine Arbeit Hoehmes in der Ausstellung betitelt, die als eine Acryl-Collage auf Damast mit Plexiglas die Umrisse eines menschlichen Kopfes zeigt, der von malerisch sichtbar gemachten Schwingungen wie in einem strahlenförmigen Nimbus umgeben ist. Die Zeichnungen „Mediator – Störfall“ von 1979 und „Was man im Kopf hat“ von 1977 thematisieren ähnliches: Der Kopf des Künstlers als Zentrum seines Wissens und Intellekts, seiner Kreativität und Sensibilität und als Metapher für den Künstler als Sender, der auch als Inspirationsquelle und Meditation fungiert. Vergleichbare Arbeiten finden sich auch bei Müller, wie z.B. „Köpfe“ und „Weiser Kopf“, beide aus dem Jahr 2017, die sich als Mediator, Medium und Transmitter verstehen und zeigen.
Eine weitere Parallele zu Hoehme zeigt sich sehr eindrucksvoll in Müllers Werk „Metaphysik“. Hier ist der Bildträger mit einem Objekt und einer buntfarbigen Schnur verbunden, die an die PE-Schnüre Hoehmes erinnern, die dieser in allen Farben für seine Werke am Extruder bei BASF gestaltete. Für Hoehme ist „die Schnur die plastische Form des Heraklit'schen Denkens“. Ähnliches kann über die Schnüre in Müllers Werk gesagt werden.
Hoehmes Idee, den die Kunst umgebenden Raum zu nutzen, um für die Kunst neue Perspektiven zu finden, nutzt Müller auch als Kurator der Ausstellung in einer simultanen Weise. Auch er experimentiert mit dem Raum der Ausstellung. So taucht das Millimeterpapier des Hygrographen für Temperatur und Luftfeuchtigkeit auch als Gestaltungselement der Wand in Form einer künstlerischen Tapete auf und erweitert den Bildraum der Zeichnungen Hoehmes. Diese Objekt-Raum-Beziehung hätte ihm sicher gefallen, gehören doch für ihn eine Meditation über die Werte des Objektes und des umgebenden Raumes seit seinen „Shaped Canvases“ immer dazu. Gedanken, Kunst, Geschichte und Energie durchfließen den Raum – so wird die Ausstellung zu einem Navigieren durch die Zeit und den Raum. (Text: Vanessa Sondermann)
Mit freundlicher Unterstützung von:
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