Jan-Peter E.R. Sonntag / Fred Thieler. [ɛ̃fɔʁmɛl]
20. Mai bis 3. September 2022 ⟶ Galerie
Die Galerie Georg Nothelfer freut sich in der Schau [ɛ̃fɔʁmɛl] Arbeiten von Fred Thieler mit Werken von Jan-Peter E.R. Sonntag in Dialog zu setzen.
Fred Thieler (1916-1999) gehört zu den wichtigen Vertretern des Deutschen Informel. Grundlegend für das Verständnis von Thielers Werk ist die kategorische Abwendung von der “Form“ in der malerischen Gestaltung, wie auch vorgegebenen Bildinterpretationen für den Betrachter. Dieser Ausdruck von Freiheit artikuliert sich durch die seit den 50er Jahren vollzogene Hinwendung zur abstrakten, gestisch-dynamischen Malerei, dem “Informel“.
Jan-Peter E.R. Sonntag (*1965), der Bildende Kunst und Musik in Theorie und Praxis studierte, begann ab 1989 mit monochromatischen Gasentladung-Lichtsystemen und Feldern aus stehenden, sinusförmigen Infraschallwellen sein Arbeiten über Raum in Raum, die er “raum-Arbeiten“ nannte geprägt auch von der Prozessualität und Unmittelbarkeit des Informel. In seinen Arbeiten verschaltet er Medientechniken sowie Konzeptionen und Handlungs-Strategien der Bildenden Kunst mit Konzepten und Spieltechniken experimenteller- und Neuer Musik.
In der Ausstellung zeigt Jan-Peter E.R. Sonntag zwei Installationen – eine raum-Arbeit bezogen auf die Architektur des Galerieraumes und den Kontext Informel und die Video-Installation TRIPS*Equal_Loto, die auf seinem gleichnamigen AI-basierten Oratorium für virtuelle SprecherInnen und Musikerinnen / ICbots im Dialog mit realen Instrumental-Solisten basiert.
Artiststatement zum Titel [ɛ̃fɔʁmɛl]
[ɛ̃fɔʁmɛl] – die Zeichenkette verschriftlicht einen Wortklang und weist den Leser durch ihre Position im Layout hin auf ihre überschreibende Funktion und zugleich auf ihre Herkunft: Mit dem Titel Significance de l’ Informel kommt der Begriff 'Informel', der rückblickend verschiedene Positionen und Strömungen zusammenfasst, in den Kontext der Kunst. Der Kunstkritiker und Kurator Michel Tapié formierte unter diesem Titel im Pariser Studio Facchetti 1951 eine Ausstellung mit Werken der damals jungen Maler Jean Dubuffet, Jean Fautrier, Henri Michaux und Wols. Durch Auslassung des Artikels vor Significance kann Significance als die Bedeutung des – wie die Bedeutenden des Informel bedeuten.
“What we mean by information – the elementary unit of information – is a difference which makes a difference, and it is able to make a difference because the neural pathways along which it travels and is continuously transformed are themselves provided with energy” schreibt Gregory Bateson in Form, Substance and Difference - Steps to an Ecology of Mind, 1972.
Gedanken Gregory Batesons begegneten mir erstmalig während meines Studiums zur gleichen Zeit wie die Praxen einer Kunst und Musik, die auf Bildung eines Sinnenbewusstseins, Materialität und Prozess setzten und Zufallsoperationen mit ins künstlerische Kalkül zogen.
Mein kontextuelles Arbeiten über raum in raum entwickelte sich aus diesen Prägungen und eine Spurensuche entlang ihrer Denk- und Handlungs-Figuren prägt mein aktuelles Arbeiten. Die Praxen und Strategien der westlichen Avantgarden, die in der Rückschau unter dem Begriff Informel subsummiert werden – parallel zu der amerikanischen Bezeichnung Abstract Expressionism, entstanden wie ein damals neuer Begriff von Information unter der unmittelbaren Erfahrung des zweiten Weltkrieges – des Holocaust und der Atombombe. “Information is information, not matter or energy. No materialism which does not admit this can survive at the present day” – schreibt Norbert Wiener 1948 in Cybernetics: or the Control and Communication in the Animal and the Machine.
Die vermeintliche Unform im Kontext abstrakter Kunst, mit der Tapié u. A. die malerische Absage an geometrisch konstruktiven Strukturen der Vorkriegs-Abstraktionen sprachlich zu benennen versucht, schlägt wie zufällig einen Bogen zu einem prämodernen Informationsbegriff, der eine willentliche
Formung von Substanz beschreibt. Vilém Flusser beschreibt einen Faustkeil als materiellen Speicher für die Information schneiden in einer vororalen Zeit in einem Vortrag an der Bochumer Ruhruniversität 1991. Informationstheoretisch betrachtet, fallen in den künstlerischen Strategien des Informel – das Wie wird etwas vermittelt mit dem Was wird vermittelt zusammen: Das Ergebnis des Prozesses verweist einzig auf das formende Spiel des Prozesses – die Spuren als Resultat dieses Prozesses: Das informierte Material ist die Information.
Die aus der Entwicklung einer automatisierten Flugabwehr, in der Servomechanik, Radartechnik und Analog Computing zusammenwirken, hervorgegangenen Steuertheorie Norbert Wieners unterscheidet streng Information von Materie und Energie, wobei gleich ist, ob die betrachtete Informations- und Steuerprozesse in Maschinen, Tieren oder Menschen ablaufen. Der Informationsmaterialismus lenkt den Blick auf die technischen medialen Bedingungen, die unsere Kommunikation, Gesellschaft und so auch Kunst prägen.
Gegen die Zeichenspiele der postmodernen Strömungen in der Kunst und Musik in Bezugnahme auf die installativen Arbeiten von Bruce Nauman, Alvin Lucier, Dan Graham und Franz Erhard Walther entwickelte ich mit meinem Team um 1990 erste medientechnische Instrumentarien, die es mir erlaubten, mit stehenden Infraschallwellen und monochromatischem Licht amorphe Felder aus konstanten Schall- und elektromagnetischen Wellen – gleich erlebbaren, zeitbasierten Setzungen in gegebenen architektonischen, gebauten euklidischen Räumen zu vollziehen – raum-Arbeiten: Das Werk vollzieht sich in der Bewegung des Rezipienten durch den künstlerisch definierten Raum. Kunst im Zeitalter seiner medientechnischen Prozessierbarkeit ist vor allem eine Verschaltung maschineller Techniken und Körpertechniken – künstlicher und biologischer Intelligenzen. Nicht allein die Neukombination bestehender, tradierter Zeichensysteme vermag den künstlerischen Diskurs –, sondern das fortwährende Erkunden dieser Verschaltung vermag den Sinnenraum kontinuierlich zu erweitern. Mein Arbeiten mit Schall und Licht – beides Phänomene, die sich als Wellen bzw. Schwingungen abbilden, verschieben, übersetzen und prozessieren lassen, ist eine Körper adressierende Raumkunst.
Kurzbeschreibung zur Videoarbeit von Jan-Peter E.R. Sonntag:
TRIPS*Equal_Loto / EXC1 18min 1 ch. 4K Ultra HD Video und 2 ch. Klanginstallation
Die Installation basiert auf Jan-Peter E.R. Sonntags KI-basiertem Oratorium TRIPS*Equal_Loto in 4 Akten für synthetisierte Sprache und virtuelle Musiker / ICbots (Instant Composing bots) in Interaktion mit 5 Instrumentalsolisten (*Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights). Mit dem Ziel, eine Produktionsmethode für ein zeitgemäßes und sich ständig erneuerndes Oratorium zu entwickeln, trainierte Sonntag zusammen mit seinem Team eine KI - wie ein selbstlernendes Programm - mit Texten wie Streicher von Elfriede Jelinek, generierte daraus ein Libretto und analysierte - parametrisierte - maschinell die Sprachmelodien der KI-basierten synthetischen Stimmen hinsichtlich ihrer Obertonspektren und Rhythmen, um daraus wiederum die Instrumentalmusik für virtuelle Instrumente zu komponieren und mit menschlichen Instrumentalsolisten spielerisch und im realen Raum zu verweben. Aus dem mustererkannten Klang von Jelineks Poesie entstand und entsteht so eine sprachliche und musikalische Poesie, basierend auf einer Deep-Learning-Software, die nichts über Dinge und Vorgänge und die sie beschreibenden Worte weiß, sondern nur das Wesen bestimmter Zeichenkombinationen lernt - wie eine Mensch-Maschine-Meditation in klingenden Sprach- und Instrumentalklängen über Maschinenmusik, Sprachen und die Stimme.
Solisten: ER - Posaunen und Computer; Lars Gühlcke - Kontrabass und sonD-Bass; Ignaz Schick -Turntables; Oli Steidle – Schlagzeug; Biliana Voutskova - Violine.
Die Aufnahme wurde am 6. Mai 2021 in der WABE in Berlin gemacht.
Konzept, Video, Text und Klangkomposition: Jan-Peter E.R. Sonntag; Kamera: Anton von Heiseler
Kameraassistenz & Selbstlerntraining: Maximilan Rummel; Tonaufnahme, Mischung & Mastering: Jan-Peter E.R. Sonntag; Produktion: N-solab; Produktionsleitung: Lars Gühlcke.
Gefördert durch den Musikfonds e.V. aus Mitteln des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM).