Motions of Matter
18. Februar bis 8. April 2023 ⟶ Galerie & Showroom
Die Ausstellung MOTIONS OF MATTER versetzt malerische Positionen des Informel, aktuelle Plastiken von Mahdad Alizadeh und performative Arbeiten der Bildhauerin Stella Geppert in einen spannungsreichen Austausch. Unmittelbar ins Auge fällt das Zusammenspiel ästhetischer Gemeinsamkeiten. Ein freier Duktus dominiert als bildgebendes Mittel die künstlerischen Werke und widersetzt sich als dynamisches Prinzip einer starren Formgebung. Das Prozesshafte ist Dreh- und Angelpunkt dieses generationsübergreifenden Dialogs. Als Spur, Geste oder unmittelbarer Ausdruck bleibt der Prozess in den Zeichnungen, Malereien und Plastiken sichtbar. Bei Klassikern wie László Lakner oder Georges Noël zeigt sich das in skripturalen Bildelementen, Ritzungen oder Verfahren wie der écriture automatique.
Stella Geppert lotet das wechselvolle Verhältnis von künstlerischem Material und Körperbewegung als bildnerischem Prozess performativ aus. Im Zentrum der Galerie sind zwei Skulpturen der Serie Hieroglyphendecke (2019) installiert. Während der Performance COMMUNICATION CAPTURES werden in der raumgreifenden Arbeit verbal und non verbal ausgelöste Bewegungen des Kopfes beim Reden zeichnerisch festgehalten. Performer*innen, ausgerüstet mit einem senkrecht auf dem Kopf stehenden Stab, der bis an die Papierdecke der Raumkonstruktion reicht, treten in Interaktionen miteinander. Am oberen Ende der Kopfbedeckung ist ein Stück Zeichenkohle befestigt, das unaufhörlich die Bewegungen der Beteiligten nachzeichnet.
Durchpulst und umpaust (1986) von Gerhard Hoehme ist der performativen Skulptur von Stella Geppert direkt gegenübergestellt. Die großformatige Allover-Malerei, dessen unruhige Dichte rot- brauner Pinselstriche nur an den Rändern der Leinwand in helles Blau übergeht, ist ein eindrückliches Beispiel, wie Hoehme verschiedene visuelle Wahrnehmungen im Betrachtenden auslöst. Neben dem distanzierten Sehen, soll auch ein haptisches Sehen angeregt werden, das den Tastsinn aktiviert. Drei lange Kunststoffschnüre in Rot, Blau und Hellgrün, die die Rahmung des Bildes verlassen und es in den Raum erweitern, verstärken die kommunikative Wirkung des Bildes und das rezeptionsästhetische Anliegen Hoehmes. Darüber hinaus erinnern die Schnüre in ihrer Farbigkeit an modellhafte Darstellungen des menschlichen Blutkreislaufs. Das Bild wird zu einem physischen Gegenüber für die Betrachtenden.
Die Tonarbeiten von Mahdad Alizadeh lassen sich ebenfalls mit körperlichen Qualitäten in Verbindung setzen. In ihrer unmittelbaren Formgebung rühren sie zunächst an archaische Plastiken, lassen sich aber zugleich als futuristische Organwucherungen imaginieren. „Null“ (2023), eine im Brennofen explodierte Arbeit, ist bruchstückhaft, wie bei einer archäologischen Ausgrabung, auf einem Tisch sortiert. Die Fragmente sind ein Memento Mori und zeugen zugleich von der potenziellen Kraft der Materie.
In direktem Dialog treten Alizadehs Plastiken mit Stella Gepperts Kohlezeichnungen, in denen die Künstlerin ihre Organe mit Hilfe einer Massage und Klangtechnik stimuliert und dabei Tastbewegungen in die Leinwand indirekt einschreibt. Die Schwarz Weiß-Bilder ließen sich als Röntgenaufnahmen lesen, nur, dass hier das Innere des Köpers nicht durchleuchtet, sondern erspürt wird.
Die Überwindung fundamentaler Gegensätze wie Körper und Geist, die seit der Aufklärung das abendländische Denken bestimmen, war ein wichtiger Anspruch vieler informeller Künstler. Das Oszillieren der Bilder zwischen materieller Präsenz und immateriellen Zeichen, das man in der Ausstellung wahrnehmen kann, zeugt von diesen Bemühungen. Henri Michaux’ poetische Papierarbeiten als Notationen eines unbewussten, inneren Zustands sind dafür paradigmatisch. Auch Stella Gepperts performative Zeichentechniken, die mit der Intelligenz des Körpers arbeiten, sind eine Praktik, um die Verschränkung von Materie und Geist in ihren Möglichkeiten zu erforschen. In Begegnung mit den Arbeiten des Informel aktualisiert, dynamisiert und erweitert sie so zugleich ein Diskursfeld, das seit der Nachkriegsmoderne virulent ist.