Everything is fine. Groupshow
24. Februar bis 13. April 2024 ⟶ Galerie
Die Galerie Georg Nothelfer freut sich eine Gruppenausstellung mit etablierten und jungen KünstlerInnen zu zeigen, die sich mit dem Thema „Fragmente“ auseinandersetzen.
„Everything is fine“ klingt nach einer unwirklichen (wenn nicht geradezu absurden) Aussage in einer Zeit und in einer Welt, in der zum einen alles alles andere als in Ordnung ist und in der sich zum anderen die kollektive Erfahrung dieses „everything“ zunehmend in einzelne, oft miteinander unvereinbare Bestandteile zu fragmentieren scheint. Angesichts der vielen Risse, die das 20. Jahrhundert mit sich gebracht hat – und die sich bis heute durch unsere Welt ziehen –, wandte sich die Nachkriegsmoderne künstlerisch dem Fragment zu, um einer von Zersplitterung und Desillusionierung geprägten Realität Form und Bedeutung zu verleihen. Hatte man mit dem Fragment zuvor noch romantisch-allegorisch auf etwas hindeuten wollen, das von einem göttlichen Ganzen abgebrochen war, begann sich in der Moderne ein Widerstand gegen eine so nicht mehr denk- und einlösbare Ganzheit zu regen – vielleicht aus Resignation vor der zunehmend unfassbaren Gesamtheit eines solchen „everything“, vielleicht auch aus der gewonnenen Überzeugung, dass der Anspruch auf Abgeschlossenheit letztlich vermessen sei. Unter dem Titel „Everything is fine“ vereint die Gruppenausstellung in der Galerie Georg Nothelfer fünf zeitgenössische künstlerische Positionen, die sich auf unterschiedliche Weise damit befassen, eine Welt in ihrer Fragmentierung – aus den gesellschaftspolitischen, ökologischen oder körperlich-psychologischen Zusammenhängen ihrer Bruchstücke heraus – zu erfassen. Dabei nehmen die hier gezeigten Werke von Mahdad Alizadeh, Madeleine Dietz, Galli, Elmira Iravanizad und Carolin Seeliger inhaltlich oder formal Bezug auf das Fragment als Teil einer nie gewesenen oder noch im Entstehen begriffenen Ganzheit und enttarnen dabei den Ausspruch, dass alles in Ordnung sei, auch als eine zeitgenössische Form der Selbstbeschwichtigung angesichts zukünftiger Ungewissheiten.
Carolin Seeliger erforscht in ihren den menschlichen Einfluss auf das Meer und damit verbundene Emotionen – Die kaum erforschten Tiefen der Weltmeere dienen einerseits als Projektionsfläche für idealisierte Vorstellungen von unberührter Natur, während sie andererseits tatsächlich bereits bis auf die mikroskopische Ebene von den Spuren des Menschen gezeichnet sind. Vom fotografischen Medium ausgehend arbeitete Seeliger für die Serie Encounter in the Arctic kameralos; die Lumenprints sind die Erinnerung einer Begegnung an den Stränden und unbewohnten Inseln Spitzbergens, welche den Ort, die Algen, das Plastik, das Meerwasser und die Sonne selbst zu Akteur*innen einer gemeinsamen fotografischen Zeichnung machen. Silbergelatineemulsion reagiert mit Salzwasser, Spuren, Risse und Formen der Plastikfragmente spiegeln sich wider, teilweise vom Wind in Unruhe versetzt. In einem geradezu alchemistischen Prozess arbeitet Seeliger in dem ausgestellten Werk der Serie Deep Sea (2019) wiederum mit Sandproben eines Meeresforschungsinstituts sowie mit Produkten der Schönheitsindustrie, die in dem Moment vor ihrem Zerfließen stark vergrößert fotografisch festgehalten wurden und dabei das darin enthaltene Mikroplastik abstrahierend inszenieren. „Vielleicht sagen die Plastikfragmente in Spitzbergen das:“, so Seeliger, „es gibt keine unberührte Natur mehr. Auch wenn kein Mensch jemals diesen Ort betreten hat, wird der menschliche Einfluss angespült und lagert sich an, wird aufgenommen in die Landschaft, wird Teil von ihr, wird einverleibt.“
Carolin Seeliger erforscht in ihren den menschlichen Einfluss auf das Meer und damit verbundene Emotionen – Die kaum erforschten Tiefen der Weltmeere dienen einerseits als Projektionsfläche für idealisierte Vorstellungen von unberührter Natur, während sie andererseits tatsächlich bereits bis auf die mikroskopische Ebene von den Spuren des Menschen gezeichnet sind. Vom fotografischen Medium ausgehend arbeitete Seeliger für die Serie Encounter in the Arctic kameralos; die Lumenprints sind die Erinnerung einer Begegnung an den Stränden und unbewohnten Inseln Spitzbergens, welche den Ort, die Algen, das Plastik, das Meerwasser und die Sonne selbst zu Akteur*innen einer gemeinsamen fotografischen Zeichnung machen. Silbergelatineemulsion reagiert mit Salzwasser, Spuren, Risse und Formen der Plastikfragmente spiegeln sich wider, teilweise vom Wind in Unruhe versetzt. In einem geradezu alchemistischen Prozess arbeitet Seeliger in dem ausgestellten Werk der Serie Deep Sea (2019) wiederum mit Sandproben eines Meeresforschungsinstituts sowie mit Produkten der Schönheitsindustrie, die in dem Moment vor ihrem Zerfließen stark vergrößert fotografisch festgehalten wurden und dabei das darin enthaltene Mikroplastik abstrahierend inszenieren. „Vielleicht sagen die Plastikfragmente in Spitzbergen das:“, so Seeliger, „es gibt keine unberührte Natur mehr. Auch wenn kein Mensch jemals diesen Ort betreten hat, wird der menschliche Einfluss angespült und lagert sich an, wird aufgenommen in die Landschaft, wird Teil von ihr, wird einverleibt.“
Die materiellen Spuren, die von Geschichte, Leben, Politik und Erinnerung in der sich ständig verändernden Oberfläche unseres visuellen Gedächtnisses hinterlassen werden, kommen in den Werken von Elmira Iravanizad als Formen des Unterbewussten zum Ausdruck. Ihre Arbeiten erstrecken sie sich als dreidimensionale Collage aus Keramik- und Metallobjekten an der Wand der Galerie. Organisch anmutend scheinen sich die skulpturalen wie auch die zweidimensional gemalten, übermalten, ausgesparten, ausgeschnittenen Formen zu einem imaginären großen Ganzen zusammensetzen zu wollen, fast wie eine technische Zeichnung für eine Maschine mit unbekannter Funktion. In einem spielerischen Prozess, dem doch eine formale Ordnung innezuwohnen scheint, arbeitet Iravanizad mit Material aus den Tiefen des Unterbewusstseins, das durch die überwältigende Bilderflut, die uns in unseren digitalen wie physischen Umwelten umgibt, geprägt ist und zugleich das poetische Potenzial ihrer Abstraktion anerkennt.
Während sich das künstlerische Schaffen von Galli auf ähnliche Weise als eine fragmentarische Landschaft des Inneren charakterisieren lässt, bezieht sich die Künstlerin darin stets explizit auf deren mal konfliktreiche, surreale oder auch humorvolle Verkörperung, in der Geist und Körper nicht klar voneinander getrennt werden können und wollen. So steht eine Gruppe von Zeichnungen Gallis einer großformatigen Malerei der Künstlerin gegenüber. Gallis Schwarm von anthropomorphen Figuren, porösen Formen und aus ihnen herauswachsenden Gliedmaßen scheint ein Dasein in ständiger Metamorphose abzubilden, das von Sehnsucht, Körperlichkeit, Sexualität und den ihnen innewohnenden Ambivalenzen erzählt. Galli etablierte sich in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren in der politisierten Westberliner Kunstszene, indem sie entgegen der maskulinen Prägung des malerischen Stils der Neuen Wilden Körper in ihren Zuständen der Verletzlichkeit, der Dysfunktionalität und der kopflosen Ekstase darstellte. Dem Imperativ unbegrenzter Produktivität, Mobilität und Abilität stellt Galli Darstellungen dezentralisierter und dysfunktionaler Glieder, Figuren und Logiken entgegen, die sich ineinander verschlungen dem modern-kapitalistischen Dualismus zwischen Körper und Geist selbstbewusst widersetzen.
Mahdad Alizadeh setzt wiederum den eigenen Körper in Beziehung zu dem Material, mit dem er arbeitet: In seinem intuitiven und instinktiven Ansatz lässt der Künstler einen Dialog zwischen dem Ton und seinen Händen zu und versucht dabei, deren Interaktion von vorgeformten Meinungen zu befreien. Alizadehs organische, teils figurativ erscheinende Tonskulpturen sind dabei von Brüchen und Rissen durchsetzt – Seine körperliche Auseinandersetzung mit dem temporär formbaren und transgressiven Charakter des Materials gipfelt in einem wie eingefrorenen Moment zwischen Zerstörung und Wiedergeburt. Alizadeh beschreibt den Entstehungsprozess seiner Skulpturen wie auch seiner Pastellzeichnungen dabei als Verkettung solcher Momente, in denen jedes Element eines werdenden Objekts Teil eines endgültigen Zustands sein könnte: „Aber dieses Fragment muss für sich selbst ein gewisses Gewicht haben. Eine Art Geschichte für sich selbst; nicht unbedingt eine Geschichte, die erzählt werden muss.“
Mit dem Werktitel Was bleibt beschäftigt sich die skulpturale Arbeit von Madeleine Dietz ebenfalls mit einer Befragung von Zeitlichkeit, Permanenz und Vergänglichkeit. In formaler Strenge werden Bruchstücke von Gewesenem nur ausschnittsweise in ihrem Metallbehältnis sichtbar gemacht – das kalte und konstruktive Prinzip des glatten Stahls trifft dabei in den darin gestapelten getrockneten Erdstücke auf ein gebrochenes, aber lebendiges Gegenüber. Auch die mit Pigmenten verbrannter Weinreben entstandenen Malereien sprechen von ambivalenter Erinnerung an die Erde, auf und von der wir leben. Dietz’ formale Anlehnung an die archäologische Freilegung von Ruinen scheint dabei auf die ontologischen Paradoxie des fragmentarischen Zustands an sich zu verweisen, wie sie in verschiedenen Momenten der Ausstellung zum Vorschein kommt: Als Teil eines werdenden Objekts kann das Fragment zugleich als Relikt eines Zustandes gedacht werden, auf dessen Verwirklichung es selbst noch angelegt ist – die Frage „was bleibt“, steht der Unvorhersehbarkeit dessen gegenüber, was noch nicht gewesen ist. (Text: Linnéa Bake)