Thomas Hartmann. So!
21. März bis 27. Juni 2020 ⟶ Galerie
Im täglichen Prozess des Malens lässt Thomas Hartmann zunächst alles zu. Dann beginnt die eigentliche Arbeit des Aufräumens, Aussonderns, Strukturierens. Hartmann interessieren nicht Themen, sondern Strukturen, die er aus seinen Lieblingsmotiven entwickelt: Menschengewimmel aus der Vogelperspektive, das „Rauf und Runter“ (2018) der Rolltreppenfahrer, das Stehen „In Reih und Glied“ (2016) oder die sich in Raumfluchten und Korridoren labyrinthisch stapelnden Büchermassen, die „Kein Anfang, kein Ende“ (2008/2014) kennen und in den Händen des hinter seinem Bücherberg verschwindenden Buchliebhabers zu „Last und Lust“ (2017) werden. Die von oben betrachteten Bücherreihen auf dem Boden einer Bibliothek (O.T., 2015/2018), die den Zugriff auf einen Band blockieren, gleichen den Containerreihen in einem „Hafen“ (2013), die Stillstand, Handelsblockade, nicht universalen Handel assoziieren. Auch die vom Fließband weg auf einem riesigen Parkplatz wie Spielzeugautos aufgereihten „Volkswagen, Volkswagen“ (2015) werden zum Sinnbild des still gestellten Massenverkehrs. Verblüffend wie treffend diese Bilder den momentanen Zustand der Welt beschreiben.
Hartmann sagt, „auf das Motiv kommt es nicht an, mein Thema ist die Malerei.“ Diese Malerei entwickelt er zu einer Plastizität, die es ihm ermöglicht, verschiedene Perspektiven zu kombinieren und den Raum so zu dehnen und zu weiten, dass die Leinwand theoretisch die ganze Welt und ihre Bevölkerung erfassen kann. Bereits beim Versuch, die „Berliner“ (1999/2018) auf eine Leinwand zu bringen, scheiterte er aber zwangsläufig. In seinen gemalten Bibliotheken gelingt ihm dann doch noch eine Metapher für das enzyklopädische Gesamtwissen der Welt. Hartmann nimmt die Position des „Landvermessers“ (2017) ein, der unauffällig aber präzise vom Rand her das Geschehen um ihn herum beobachtet. „Wie ein Trichter geht alles bei mir rein und kommt als ein Konzentrat heraus. Der Inhalt ist immer die Findung einer Form, einer Struktur“. Sein Blick auf die Welt ist der Versuch, das Chaos seiner Wahrnehmungen, die „Wimmelbilder“, zu ordnen, ihnen eine Struktur zu geben, um sie anschaulich zu machen. Dabei ordnet er das Gewimmel in überschaubare Mengen: Menschenmengen an langen Arbeitstischen („Langer Tisch“, 2019/20), Ansammlungen von Häusern, Büchern, Containern, Autos. So wie die mathematische Lehre von den Mengen und ihren Verknüpfungen die Welt als Zusammenfassung von verschiedenen Objekten beschreibt, sind Hartmanns gemalte Mengen ein Versuch, die Welt zu verstehen und zu veranschaulichen. Hartmann produziert eine Art gemalte Mengenlehre, die ihm und dem Betrachter hilft, distanziert und illusionslos auf die Welt zu schauen, aber sie auch mit Ironie und Gelassenheit zu ertragen so wie sie ist, ohne sie verbessern zu wollen. (Text: Eckhart J. Gillen, 2020)